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Newsletter Neo-Zen - lebendiger Buddhismus
Liebe Freunde des Zen,
noch immer Corona, schon den zweiten Winter, und kein Ende abzusehen. Ich denke, wir sind es alle gründlich leid, aber wir müssen da durch. Auch sollten wir uns nicht kirre machen lassen von aufgeregten Zeitgenossen, denen der Geduldsfaden gerissen ist und die sich lautstark bemerkbar machen. Das soll diesmal das Thema des Newsletters sein: „Feuer und Zorn“.
Wir kennen es von den großen christlichen Kirchen, dass sich deren Vertreter auch hin und wieder zu gesellschaftlich relevanten Themen öffentlich zu Wort melden. Warum, so frage ich mich, tun wir Zen-Buddhisten das nicht auch? Warum verlassen wir nicht auch mal die sicheren Gefilde von Achtsamkeit, Haltung, Atmung etc. und trauen uns hinaus aufs offene Gelände der politischen Diskussion? Wir haben unseren eigenen Blick auf das Leben und die Welt und sollten ihn auch vermitteln. Zen-Anhänger sind in unserem Land keine Mönche, die abgeschieden in Klöstern leben und die böse Welt außen vor lassen können. Wir leben in der Regel inmitten dieser Welt, haben Arbeit, Familie, Beziehungen, Freunde. Einige hilfreiche und der Orientierung dienende Gedanken können uns nicht schaden, denke ich.
Gassho
Detlef B. Fischer
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Feuer und Zorn
„Die Querdenker haben mich überzeugt! Vor zwei Jahren, also noch vor der Corona-Krise, da war ich noch gutgläubig und naiv. Damals habe ich tatsächlich geglaubt, dass es winzige Lebewesen wie Viren, Bakterien oder Amöben tatsächlich gibt! Kreaturen also, die man nicht anfassen und mit bloßem Auge nicht sehen kann und die man nur mit Hilfe von Mikroskopen oder gar Elektronenmikroskopen wahrnehmen kann. Heute lache ich darüber, denn als überzeugter Querdenker weiß ich, dass es das, was man nicht sehen oder anfassen kann, gar nicht gibt. Fake News. Die sogenannte Corona-Krise hat auch nichts mit Viren und Infektionen zu tun, sie ist die Erfindung einer mächtigen Finanzlobby, die den naiven Teil der Weltbevölkerung verdummen und versklaven will, um selbst die absolute Kontrolle zu gewinnen. An der Spitze dieser Lobby stehen die Multimilliardäre Bill Gates und George Soros, - assistiert von den Simpsons und Otto Waalkes. Aber einige Leute, darunter ich, wir lassen uns nicht hinters Licht führen! Wir sind über YouTube und Instagram bestens über alles informiert und wir pfeifen auf die Corona-Märchen der Lügenpresse. Weil wir zu denen gehören, die wissen, wie es wirklich ist, fällt uns die unangenehme Aufgabe zu, den Leuten schonungslos die Wahrheit zu sagen. Ich bin dabei auch nicht zimperlich, ich brülle sie Polizisten und Politikern ins Gesicht und lass mich auf keine Diskussionen ein. Verarschen kann ich mich alleine!“
Kernschmelze der Demokratie?
Seit vielen Monaten nun schon kann man beobachten, dass ein nicht geringer Anteil der Bevölkerung zivilisierter Nationen auf abenteuerlichen Wegen unterwegs ist. Es handelt sich nicht um tumbe Dummköpfe, ungebildete Analphabeten oder gesellschaftlich abgehängte Menschen, die absurden Ideen und abwegigen Verdächtigungen anhängen. Es können die Leute von Nebenan sein, Menschen, die regelmäßig das Treppenhaus putzen und brav ihren Müll trennen. Den „Wutbürger“ gibt es nicht erst seit Corona, er trat zuerst bei den Auseinandersetzungen um den Umbau des Stuttgarter Bahnhofs in Erscheinung. Jetzt, in Corona-Zeiten, sind die Wutbürger allgegenwärtig und man wundert sich, wer alles, in seinem eigenen Umfeld, dazu gehört. Ich habe mir in den letzten bald zwei Jahren allerlei selbstgestrickten Unfug in Bezug auf Corona, Viren, Immunität und vor allem übers Impfen angehört. Selbsternannte "Virologen" schießen wie Pilze aus dem Boden. Ein paar kritische Artikel gelesen, ein paar YouTube-Videos gesehen und schon ist man Fachmann oder -frau in Sachen Virologie. Hurra, die Dilettanten übernehmen das Ruder! 
Bedenklich ist nicht allein die abseitige Gedankenführung, sondern sind vor allem die maßlose Selbstüberschätzung der Querdenker-Szene und ihre Gewaltbereitschaft. Ich frage mich, wohin solide Bildung und der Zugang zu freien Medien in demokratischen Ländern wie Belgien, Frankreich, Holland, Deutschland etc. geführt haben? Würden wir über ein paar „Irre“ oder Spinner sprechen, die es immer gegeben hat und immer geben wird, dann bestünde kein Grund zur Sorge. Aber so ist es nicht. Die Proteste gegen notwendige, wie auch immer ausgestaltete Corona-Maßnahmen mobilisieren zig-Tausende. Die Ereignisse in den USA von vor einem Jahr, als ein abgewählter Präsident seine Niederlage nicht eingestehen wollte, Wahlergebnisse in einigen Bundesstaaten drei Mal nachgezählt werden mussten und schließlich ein aufgehetzter Mob das Kapitol erstürmte, zeigen, dass es nicht nur um Corona geht. Das demokratische System ist in der Krise! Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt helfen den Leuten nicht bei der Lebensbewältigung und dienen nicht der Orientierung, sie verwirren sie. Fakten sind nicht einfach vorhanden, sondern werden nach Belieben erschaffen.
Die zunehmende Komplexität der Welt
Meine Kindheit und Jugend habe ich in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verbracht. Es war die Zeit der Beatles und der Stones, des Minirocks, der Hasch-Pfeifen, der Studentenproteste und des Vietnamkrieges. Eine spannende, lebendige, aber auch nicht ideale Zeit. Ich habe mehr als einmal gehört, dass man Leute wie mich, die „Gammler“, vergasen sollte. Zu Idealisierung gibt es keinen Anlass, aber eines war damals deutlich anders als heute: die Welt war weniger kompliziert. Im Bundestag gab es drei Parteien, das Telefon gehörte der Post und stand brav im Hausflur, für Ersparnisse gab es Geld von der Bank und Flugreisen konnten sich nur die Reichen leisten. Das Fernsehen zeigte drei Programme und gegen halb elf war Sendeschluss. Von der einfachen Welt der sechziger und siebziger Jahre sind wir heute Lichtjahre entfernt. Seit der Einführung des PC in den achtziger Jahren und dem Aufkommen des Internet in den 90ern haben sich Geschäfts-, Arbeits- und Alltagsleben in rasender Geschwindigkeit verkompliziert. Wer von denen, die dies hier lesen, weiß wirklich, was eine Blockchain ist, wie Krypto-Währungen funktionieren, was Künstliche Intelligenz bald kann und warum die Banken mit Negativzinsen operieren? Und wieso bekommen Bauern Geld dafür, wenn sie ihre Felder nicht bestellen, während in anderen Teilen der Erde gehungert wird? Sicher, es gibt zu allen Bereichen des Lebens Zeitschriften, Anleitungen und Videos, aber die Masse des zu Wissenden ist einfach zu groß, als dass wir sie uns, über Teilbereiche hinaus, wirklich aneignen könnten. Ertrinken wir in Information?
Gleichzeitig verlieren Aspekte, die den Menschen in der Informationsflut Halt geben können, immer mehr an Relevanz. Die Kirchen sind in der Krise. Tradition, Nation und Familie verlieren an integrativer Kraft. Das menschliche Ich, einmal aus der Verankerung gerissen, findet keine Zufluchtsorte mehr. Genau das ist die ideale Zeit für Demagogen mit einfachen Lösungen und Antworten. Radikale Vereinfacher versprechen, den Durchblick zu haben und aus der Krise zu führen. Hier sind wir in der Welt eines Donald Trump, einer Marine Le Pen, eines Geert Wilders – oder eben bei den Propheten (und Profiteuren) der Querdenker-Bewegung. Geht die Demokratie an ihren Vorzügen (Toleranz, Vielfalt, Meinungsfreiheit, Offenheit) zugrunde? Die Gefahr besteht tatsächlich.
Das Angebot des Zen
Ich sehe wirklich die Gefahr, dass es zu einer kulturellen Implosion der westlichen Gesellschaften kommen kann. Ersticken wir an zu viel Freiheit, Wissen und Information? Autoritäre Regime in China, Russland und anderswo lachen bereits über unsere vielgestaltigen, offenen Gesellschaften, in denen jeder seine Meinung frei äußern kann und wo Großprojekte durch Feldhamster oder Fledermäuse zum Scheitern gebracht werden. Diese Regime können aber für uns kein Vorbild sein. Wir müssen bessere Lösungen finden und ich glaube auch, dass es sie gibt. Hölderlin ist mir dabei ein Leitstern, wenn er sagt: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch!“ Vielleicht liegt es, das Rettende, hier: Es gibt nachweislich immer mehr Menschen, die irgendeine Art von Meditation betreiben, und ihre Zahl wächst kontinuierlich! Im Moment spricht man von 500 Millionen Menschen, die Meditation praktizieren. Das ist schon eine stattliche Zahl.
Vereinfachung ist nicht unbedingt falsch und Einfachheit ist nicht auch gleich Naivität. Das Wort Zen ist die japanische Übersetzung des chinesischen Begriffs „Chan“. Das Schriftzeichen Chan besteht aus zwei Grundzeichen. Das erste bedeutet so viel wie „Vorzeigen“ oder „Offenbarung“. Das zweite Zeichen kann man mit „Einfachheit“ übersetzen. Somit ist, wenn wir von Zen oder Chan sprechen, „Offenbarung der Einfachheit“ gemeint. Das Wesen und der Wert des Zen bestehen in seiner radikalen Einfachheit: sitzen, atmen, schweigen. Dabei wird die Komplexität der Welt, weder die der natürlichen noch der kulturbedingten, negiert oder geleugnet. Jedoch hilft uns die stetige Rückkehr zur Einfachheit dabei, uns im Leben und der verwirrenden Vielfalt unserer Umgebung besser zurecht zu finden. Zazen, also Einfachheit, bringt Ruhe und Frieden in unser Dasein, wenn wir es ernsthaft betreiben.
Hat unser Zazen auch eine soziale oder gar politisch relevante Dimension? Können wir die Welt retten mit unserer Meditationspraxis? Darüber ist schon viel nachgedacht und einiges geschrieben worden, aber ich rate zu Bescheidenheit. Konfuzius schrieb einmal: „Von allen Mitteln, die zur Verbesserung der Menschheit angewendet werden, sind diejenigen, die mit dem meisten Lärm und dem größten Aufsehen verbunden sind, am unwirksamsten.“
Vielleicht sollten wir uns den Schnee als Vorbild nehmen. Eine einzelne Schneeflocke ist ganz leicht, sieht wunderschön aus und schmilzt in unserer Hand. Aber viele Schneeflocken können sich zu einem stattlichen Gewicht anhäufen und Dächer zum Einsturz bringen. Schnee ist leicht und fällt sehr leise, er kann aber auch mächtig sein – zu gegebener Zeit.
Detlef B. Fischer
(Bild Zendo)
Zazen im Dojo Aegidiistraße 61/62
Die Zazen-Zeiten im Zen-Dojo Münster sind:
Dienstags von 20:00 bis 21:15
Freitags von 17:00 bis 19:00
Sonntags von 11:00 bis 12:15
Und zusätzlich ab 20.01.2022:
Donnerstags von 09:30 bis 10:30
Michael Schulmann bietet zwei- bis dreimal im Jahr einen ausführlichen Einführungskurs in die Übung des Zazen (Zen-Meditation) an. Der nächste Kurs beginnt am Montag, 17.01.2022, und findet an vier aufeinanderfolgenden Montagen von 19:00-21:00 Uhr statt. Weitere Infos und Anmeldung bei Michael (Kontaktdaten s. u.).
Wer zum Kennenlernen lediglich eine kurze Einweisung in die Übung wünscht, möge sich bitte auch bei Michael melden. In der Regel wird dann zeitnah ein Treffen dienstags um 19:00 Uhr vereinbart. Im Anschluss daran kann man ab 20:00 Uhr an der regulären Meditation teilnehmen.
Achtung: Im Moment ist es Corona-bedingt noch notwendig, sich für die Teilnahme am Zazen bei Michael anzumelden (m.schulmann@t-online.de oder 0251-5209206).
Zendo-Regeln während der Corona-Zeit
  • Bitte kommt so rechtzeitig (das Dojo ist i. d. R. eine Viertelstunde vor Beginn geöffnet), dass wir unter Beachtung der Abstandsregeln einzeln das Dojo betreten können
  • Bitte einen der vorbereiteten Plätze einnehmen und den Abstand zum Sitznachbarn nicht verändern
  • Wir tragen beim Kinhin und Rezitieren einen Mund-Nasen-Schutz
  • Nach dem Ende des gemeinsamen Übens die Gespräche mit den anderen bitte nach draußen verlagern, um ein Gedränge im Vorraum zu vermeiden
  • Wer zu den regulären Zeiten kommen möchte, muss sich derzeit vorher bei Michael anmelden (s. o.)
Die Maßnahmen werden je nach Situation aktualisiert. Derzeit gilt die 2G-Regel.
(Bild Medien)
Medienempfehlung
Die Lehre des Buddha ist in den Ländern des Westens inzwischen fest verankert. Mit dem Buddhismus ist eine Religion eingewandert, die ganz anders aufgebaut ist als die hier bereits seit langem existierenden Offenbarungsreligionen Christentum, Judentum und Islam. Von Meditation, Karma, Erleuchtung und Wiedergeburt ist in buddhistischen Texten die Rede – alles Begriffe, die bei uns recht neu sind und die oft auch nicht richtig verstanden werden. Zudem fasziniert der Buddhismus viele, weil er eine Religion ohne Gott ist.
Aber können wir den Buddhismus tatsächlich in seiner asiatisch gewachsenen Form einfach übernehmen? Oder ist es geboten, Anpassungen an die westliche Denk- und Lebensweise vorzunehmen? Diese und weitere Fragen werden in Detlefs Buch „Neo-Zen“ ausführlich erörtert.
Buch "Neo-Zen - Grundzüge eines westlichen Buddhismus"
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